Haushaltsrede 2023/24 der Fraktion WIN@WBV - Im Rat vorgetragen von Markus Bulla am 10. Mai 2023

Es gilt das gesprochene Wort 

Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender Becker,

sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Feist,

liebe Ratskolleginnen und Kollegen,

sehr geehrte Zuhörerinnen, Zuhörer,

Pressevertreterinnen und Pressevertreter, 

„Die Pflicht zum Haushaltsausgleich geht allen anderen Pflichten vor, weil auf Dauer keine Pflicht mehr erfüllt werden kann, wenn der Haushaltsausgleich nicht gelingt.“ so der renommierte Verwaltungsjurist Janbernd Oebbecke. 

Am 01. September 2016 wurde dafür mit dem Land Niedersachsen eine Grundlage gelegt. Wilhelmshaven erhielt mehr als 48 Millionen Euro und war nahezu entschuldet. Dafür sind wir verpflichtet, durch Konsolidierungsmaßnahmen seit 2019 bis zum Jahr 2026 einen Haushaltsausgleich zu erreichen. Das ist leider nur im Haushaltsjahr 2019 gelungen. Es gab einen Bruch, der wesentlich, aber nicht nur in den Krisen der letzten Jahre begründet ist. Auch kommunale Verwaltungsvorschläge und Ratsentscheidungen haben mit ihren finanziellen Auswirkungen unseren Handlungsspielraum immer mehr eingeschränkt. Einem Minus von 2,3 Mio. im Jahr 2020 folgte im Jahr 2021 eine Verdopplung mit 4,5 Mio. Euro. Die Corona-Krise, die Folgen des andauernden Ukraine-Krieges, die Aufnahme von weiteren Geflüchteten und fehlende Ausgleichszahlungen durch Bund und Land verschärfen die Situation dramatisch. 

Die WIN@WBV stellt sich diesen Herausforderungen mit zukunftsorientierten Zielen und konkreten Handlungsoptionen. 

Ein wesentliches Ziel muss es sein, steigenden Energiekosten und einer unsicheren Versorgung entgegenzuwirken. Wilhelmshaven ist, obwohl Energiedrehscheibe, als Stadt bisher nicht zukunftsweisend aufgestellt. Photovoltaik auf städtischen Gebäuden, Investitionen in energieeffiziente Technik und Abmietung von Büroflächen durch die Chancen der Telearbeit. Hier sehen wir, WIN@WBV, großes Potenzial, die Energiekosten zukünftig auf finanzierbarem Niveau zu stabilisieren. 

Neben diesen Belastungen für nahezu alle Kommunen hat Wilhelmshaven zusätzliche strukturelle Herausforderungen zu bestehen, die exorbitant belasten. Die Zuschüsse zu den Teilhaushalten im Fachbereich Soziales mit mehr als 30 Millionen Euro und im Fachbereich Jugend mit in den Folgejahren 60 Millionen Euro machen das deutlich. Allein für diese beiden Positionen prognostiziert die Stadtverwaltung innerhalb der nächsten sechs Jahre einen Anstieg um 23 Millionen Euro. Diese Mehrung wird bei weitem nicht mehr durch die Zuweisungen vom Land kompensiert. 

Aber bei unseren jungen Menschen mit Startschwierigkeiten zu sparen, würde später zusätzliche Folgekosten im Sozialbereich verursachen. Jeder junge Mensch wird gebraucht, und wir müssen unser Möglichstes tun, hier niemanden zu verlieren. Darum ist es aus Sicht von WIN@WBV wichtig, beispielsweise unsere Familienzentren zu erhalten, die hier einen wichtigen Beitrag direkt im Sozialraum leisten. Andere Kommunen versuchen gerade dieses Erfolgsmodell zu kopieren. 

Anforderungsgerechte Schlüsselzuweisungen müssen gegenüber der Landesregierung erkämpft werden. Tut das die Verwaltungsspitze derzeit in ausreichendem Maße? Die Ratsfraktion der WIN@WBV fordert hierzu Transparenz, auch um jede mögliche Unterstützung geben zu können. Zudem fordern wir von unseren Abgeordneten in Land und Bund, dass sie mit uns für faire Verteilschlüssel kämpfen, um dieses Ungleichgewicht zu kompensieren. 

Als im Jahr 2022 die großen finanziellen Herausforderungen für die Folgejahre deutlich wurden, kündigte die Verwaltungsspitze die Vorlage eines umfangreichen Haushaltskonsolidierungskonzeptes an, wofür ausreichend Zeit verfügbar war. Stattdessen erhielt der Rat aber am 15. März eine Sammlung an Streichpotenzialen für die nächsten Jahre. Diese sogenannte Potenzialliste wurde zum Objekt von Indiskretionen und fehlgeleiteten öffentlichen Spekulationen und brachte die Stadt in Aufruhr. Unnötige Diskussionen mussten von den Ratsmitgliedern geführt werden, um sachlich zu informieren und einzuordnen. Konstruktive Grundlagenarbeit war von den Ratsfraktionen gefordert. Diesen Schaden am öffentlichen Ansehen der Politik lasten wir nicht nur den „Durchstechern“ an sondern auch dem Fehlen eines rechtzeitigen belastbaren Entwurfs eines Haushaltskonzeptes bzw. eines Vorberichts. 

Die WIN@WBV hat aber immer konstruktiv nach Lösungen gesucht, um sozialverträgliche und möglichst verursachungsgerechte Lösungen zu entwickeln. Dabei hat meine Fraktion stets die Abstimmung mit anderen Fraktionen und der Verwaltung gesucht, Unterstützung erfahren und gegeben. Eine Blockade im „Nein und Dagegen“ hat es mit uns nicht gegeben und wird es nicht geben.

Was konnten wir zu Beginn der Haushaltsberatungen statt einer unvollständigen provozierenden Potenzialliste von der Verwaltungsspitze erwarten?
Laut Niedersächsischem Kommunalverfassungsgesetz ist das eindeutig geregelt: 

  • Wir haben einen Vorberichtsentwurf erwartet, der einen Überblick über die Haushaltwirtschaft und eine wertende Analyse der finanziellen Lage und ihrer voraussichtlichen Entwicklung gibt. In welcher Höhe weichen wir aufgrund welcher Tatbestände von der verabschiedeten Stabilisierungsvereinbarung aus dem Jahr 2016 ab? Wie hoch sind welche Sonderfaktoren? Wie hoch sind die Kosten bezüglich Corona, Geflüchteter, Krankenhaus und weiterer außergewöhnlicher Kosten? Mit welchen Annahmen planen wir die Zukunft? 
  • Danach hätten wir eine vollständige Liste aller nicht auf Gesetz beruhenden Leistungen erwartet, die mit Priorisierungen versehen und kritisch auf ihre Erforderlichkeit hin überprüft wurde. 
  • Zusätzlich hätten wir eine Übersicht der pflichtigen Verwaltungsaufgaben erwartet, die geprüft wurde, ob Quantität und Qualität der Aufgabenwahrnehmung noch gerechtfertigt sind und ob gegebenenfalls Aufwandssenkungen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften möglich sind. 
  • Ergänzend erwarteten wir eine Liste aller Benutzungs- und Sondergebühren, ob die Angemessenheit ausreicht. 

Trotz schriftlicher Nachfrage haben wir dieses bis heute nicht oder nur zum Teil erhalten. Insbesondere eine schlüssige Konzeption von Strukturellen Maßnahmen innerhalb der Stadtverwaltung vermissen wir. 

Auch ohne die Notwendigkeit zur Haushaltssanierung steht unsere Kommune angesichts des bundesweiten Fachkräftemangels vor immensen Herausforderungen. Viele Stellen sind mangels geeigneter Bewerber schon heute nicht mehr zu besetzen. Diese Lage wird sich weiter verschärfen. Zugleich bietet uns die rasante Entwicklung in der Digitalisierung, der Künstlichen Intelligenz sowie der IT-Standards im Rahmen der OZG-Neuauflage in vielen Bereichen Chancen, dieses Problem innovativ zu lösen und zugleich den Haushalt im Stellenplan dauerhaft zu entlasten. Dazu müssen wir dieses Thema allerdings auch zur Chefsache machen. WIN@WBV hat mit dem Ausschuss für Datenverarbeitung und Digitalisierung dem Thema im politischen Raum das notwendige Gewicht gegeben. Nun muss die Verwaltungsspitze durch Einrichtung einer Stabsstelle Digitalisierung die notwendigen Prioritäten setzen. Langfristig sind damit nach übereinstimmender Einschätzung aller Experten Entlastungen von bis zu 30% zu erreichen. Wir haben dafür gesorgt, dass dies zumindest im kommenden Haushalt 2026 beginnend mit 5% und in den folgenden Jahren steigend im Stellenplan eingeflossen ist  

Erst auf unser Drängen wurden diese Beschlussvorschläge in die Haushaltskonsolidierung und -sicherung aufgenommen. Aber nicht in Höhe der vorsichtig zurückhaltenden Erwartung von der CDU und WIN@WBV, sondern nur in deutlich geringerer Höhe. Eine realistisch höhere Umsetzungsquote könnte zusätzlich mit bis zu 4,2 Millionen Euro zur dringend nötigen Kostenreduzierung führen. Hier liegt noch Potenzial! 

Wir weichen mit dem Entwurf der Verwaltungsspitze für die nächsten vier Jahre um 60 Millionen Euro allein bei den Personalkosten gegenüber der gültigen Stabilisierungsvereinbarung ab. Gleichzeitig reduzieren wir nötige finanzielle Positionen für den Werterhalt unserer Vermögenswerte, der Gebäude und Verkehrswege  

Die Finanzverwaltung beziehungsweise das Beteiligungsmanagement hat, zum Teil zu Recht, in den letzten Wochen viel Kritik an dem ständig geänderten Zahlenwerk und der Qualität des Sanierungskonzeptes des Klinikums geäußert. Die Stadt Wilhelmshaven ist aber spätestens mit diesem Doppelhaushalt ähnlich wie das Klinikum ein Sanierungsfall. 

Die WIN@WBV zeigt gemeinsam mit den konstruktiv kooperierenden Fraktionen und Gruppen, dass wir alles tun, um sozialverträglich, gesellschaftlich vermittelbar und im Sinne einer innovativen Stadtentwicklung einen Doppelhaushalt mit mittelfristiger Haushaltssicherung zu entwickeln. Wenn dieser von der Kommunalaufsicht des Ministeriums für Inneres genehmigt wird, beginnt die Arbeit der Umsetzung und Aufarbeitung. In den letzten Wochen haben einige Fraktionen wichtige gute Optionen vorgelegt, die sich lohnen, ernsthaft im Sinne struktureller Veränderungen verfolgt zu werden. 

Nur mit diesen Maßnahmen sind unsers Erachtens Haushaltssanierung und Zukunftsfestigkeit der Verwaltung zu stemmen! Überhaupt möchten wir feststellen, dass wir damit zu der Gruppe derjenigen gehören, die nicht nur die Streichung von Sparvorschlägen fordern, sondern eigene Vorschläge machen, um eine Haushaltssanierung überhaupt erreichen zu können. 

Gerne unterstützen wir Sie im Folgeprozess, wenn sie wirklich bereit sind, sich mit den strategischen Potenzialen zu identifizieren. Wir müssen die nächsten 16 Monate aktiv nutzen, möglichst jeden Teilhaushalt optimieren, um den Verlust zu begrenzen und den Doppelhaushalt 2025/26, im Herbst 2024, mit völlig anderer Tiefe und deutlich besserer Vorbereitung zu verabschieden. 

Wir erwarten von der Verwaltungsspitze, dass Sie komplexe Daten und Entwicklungen analysieren und zukunftsorientiert interpretieren, langfristige Ziele entwickeln und ihre Umsetzung frühzeitig planen. Übernehmen Sie die Hauptverantwortung bei der Transformation der Stadtverwaltung im Zeichen der desaströsen wirtschaftlichen Haushaltslage, des Fachkräftemangels, des Klima- und Energiewandels und nutzen Sie die Chancen der Digitalisierung und neuer Arbeitsorganisationen. Wir haben in den letzten 18 Monaten herausgearbeitet, dass konzeptionelle Grundlagen fehlen oder veraltet sind. Hier haben wir einige durch Ratsbeschlüsse bereits beauftragt zu erarbeiten: 

Das Projekt „Attraktivitätssteigerung und Optimierung der Stadtverwaltung", die Vision für unsere klimaneutrale und digitale Stadt im Jahr 2045, der Flächennutzungsplan, das Konzept für den Banter See, das Kulturentwicklungskonzept, das Schulentwicklungskonzept und die Neubürgerkonzeption. Die Liste lässt sich noch erweitern. Gleichzeitig haben wir das große Glück aus dem Fonds der Kohlestruktur sofort strategische Investitionen in Höhe von bis zu 60 Millionen für die nächsten vier Jahre umzusetzen. Wir sind also, anders als andere Kommunen in der Lage auch große Investitionen, wie das Stadtteilhaus im Norden, die Modernisierung des Pumpwerks, eine mögliche neue Stadthalle darzustellen, wenn wir dafür klug agieren. Dafür erwarten wir einen Hauptverwaltungsbeamten, der konzeptionelle Stärken und Zeit dafür hat. 

Meine Fraktion, die WIN@WBV, unterstützt Sie gerne bei diesem Prozess. Wir sehen immer noch eine riesige Perspektive für unsere Stadt. Dafür brauchen wir einen Kapitän an Bord der Stadtverwaltung, der ausreichend Zeit auf der Brücke verbringt. 

Wilhelmshaven hat alle Voraussetzungen für eine ausgesprochen positive Zukunft, dafür müssen wir jetzt aber alles tun, um diese Chancen zu nutzen. Das Wichtigste dabei ist aus unserer Sicht, dass nun endlich alle Akteure an einem Strang ziehen und persönliche Befindlichkeiten zurücktreten. 

Damit sind als Akteure auch unsere Bürgerinnen und Bürger gemeint: 

Wir müssen gemeinsam wieder positiv über unsere Stadt reden, damit wir auch andere davon überzeugen, sich in unserer schönen Stadt niederzulassen. 

Zusammenfassend stellen wir fest: wir haben eine Menge Aufgaben zu erledigen und die Rahmenbedingungen sind schwierig. Trotzdem hat Wilhelmshaven jetzt einmalige Chancen für eine hervorragende Zukunft, die wir jetzt aufgreifen müssen. Das Wichtigste dabei: Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger müssen an einem Strang ziehen! 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


10.05.2023